"KOMM SÜSSER TOD", Styriarte 2002, Nachtzeit bei den Minoriten

Franz Szabo, Juli 2002

 

Für außergewöhnliche Konzertereignisse sei dem Autor dieser Zeilen das Abschweifen vom unmittelbaren Thema der Alten Musik gestattet, vor allem, wenn das mittlere Stück des Abends einen der schönsten Choräle von Johann Sebastian Bach variiert.

 

Knut Nystedt

 

Zwei viel zu wenig bekannten Komponisten widmeten Friedrich Kleinhapl am Cello und das Ensemble cantus unter der Leitung von Franz Herzog im Konzert »Komm süßer Tod« ihre höchst konzentrierte Aufmerksamkeit: Dem “alten” Norweger Knut Nysted, 1915 in Oslo geboren, und dem “jungen” Österreicher Johannes Berauer, 1979 in Wels geboren. Des weltberühmten Chorleiters und angesehenen Komponisten kraftvoll persönlicher Stil konzentriert sich auf das Wesentliche und reizt die gedeckten Farben reduzierter Klangpaletten bis ins letzte Detail aus. So auch im Stabat Mater, op. 111 für Chor und Violoncello solo, mit dem die Musiker das Konzert begannen. Eine herbe Auseinandersetzung mit der Verzweiflung um den Todeskampf, aus der dennoch der Glaube und die Hoffnung auf Erlösung siegreich hervorgehen. Chor und Cello wechseln in tiefsinnigem Dialog zwischen dissonanten Verzweiflungsausbruchen und melodischen Hoffnungsschimmern.

Aus Johann Sebastian Bachs berückend schönem Choral »Komm süßer Tod«, BWV 478, entwickelt Nystedt für a capella Chor nach dem eröffnenden Zitat mit Schiebungen und Rückungen der Struktur, sowie mit Dehnungen der Notenwerte, eine obertongefärbte Hymne des Vergehens und Eingehens in die Ewigkeit - das Nichts. Für Luther allerdings, die gnadenvolle Rettung Gottes zur Erlösung des Menschen vom Leiden des irdischen Daseins.

 

Johannes Berauer

 

Wenn man Nystedts Musik vom Standpunkt des Weinfreundes charakterisieren wollte, drängte sich der Vergleich mit einem vielschichtigen, tanninreichen, alten Rotwein auf. Im Gegensatz dazu möchte man Johannes Berauers Cellokonzert »Werden, Sein, Vergehen« mit einem von jugendfrischer Energie perlenden Champagner vergleichen. Von tiefsinnigen, meditativen Passagen bis zu himmelhoch stürmenden, farbstarken Gefühlsausbrüchen nützt der Gewinner des ersten Preises beim internationalen Gustav Mahler Kompositionswettbewerb der Stadt Klagenfurt die Individualität von Cello, Chor und Schlagwerk, um abwechslungsreiche Wellenmuster auf der spiegelnden Oberfläche des Lebenszyklus zu strukturieren. Der dritte Teil, das Vergehen, regt trotz Auflehnung und Zusammenbruches manche Assoziation zur Fröhlichkeit von Ariel Ramirez’ Missa Criolla an. Im ewigen Kreislauf von Entstehen und Vergehen überwiegen bei Berauer die positiven Stimmen und die unermessliche Vielfalt der musikalischen Möglichkeiten lässt das jugendliche Kompositionstalent die Klangpalette mit barocker Sinnenfreude ausschöpfen.

 

Friedrich Kleinhapl am Cello und die Gesangssolisten des Chores standen einander auch bei diesem Werk in atemberaubender Klangschönheit und kunstvoller Virtuosität nicht nach. Es hatte zuvor Wochen von intensiver und kongenialer Kommunikation zwischen Solist und Komponist erfordert, um den schwierigen Cellopart in spielbare Bahnen zu lenken. Der mächtige Klangkörper der Stimmen - von Franz Herzog einfühlsam und präzise geführt wie ein einziges Meta-Instrument - drohte im Forte zwar manchmal das Tononi Cello zu verdecken, doch dank des Solisten stupender Technik und emotionaler Kraftanstrengung füllte es mit strahlendem Ton, immer wieder siegreich kämpfend und jubelnd, das auch in den vorderen Reihen akustisch vorzüglich klingende Kirchenschiff der Mariahilfer Kirche. Für die Uraufführung dieses technisch so anspruchsvollen Cellokonzertes balancierten die Musiker an der Grenze ihrer Merkfähigkeit - eine tour de force, die sie mit höchster Bravour meisterten. Das Publikum spendete begeisterten Beifall für einen memorablen Abend moderner Musik und der Komponist durfte sich für die künstlerisch außergewöhnlich geglückte “Geburtshilfe” glücklich schätzen.