MORGENSTERN LIEDER

2009

 

15 min.

 

Sopran, Bariton, Chamber Ensemble

 

commissioned for the project “A Tribute to Friedrich Gulda” with Willi Resetarits,

Agnes Heginger, Paul Gulda, and others ...

 

performances:

Brucknerhaus Linz, 26.1.10

Bad Ischl, 13.5.10

Konzerthaus Wien, 16.5.10

Viktring, 14.7.10

Tulln, 8.12.10

 

 

Program Notes:

 

Morgenstern ist ein Meister der Sprache. Morgenstern ist komisch, ironisch, manchmal grotesk und unter der Oberfläche meist sehr tiefgründig. Das soll auch der Leitfaden für meine Komposition sein. Seine Sprachspiele werden dabei zum Spiel mit musikalischen Generes und Erwartungshaltungen. Es darf geschmunzelt werden. Hier handelt es sich um ernste Musik, die nicht zu ernst genommen werden will.

 

1) Das Butterbrotpapier (ein Minidrama in drei Akten):


Der erste Akt entführt in eine eisige Winterlandschaft. Angst versetzt Berge heisst es. Hier spendet sie Leben. Wie das funktioniert, wird auch sogleich sachlich analysiert. Im zweiten Akt begleiten wir das frisch beseelte Butterbrotpapier. Die Musiker improvisieren zu dessen Tanz durch den Wald. Doch der Lauf der Natur ist oft grausam. So endet das Leben des Protagonisten, noch ehe dessen Existenz wissenschatflich erwiesen werden könnte.

Ein Butterbrotpapier im Wald, -
da es beschneit wird, fühlt sich kalt ...


In seiner Angst, wiewohl es nie
an Denken vorher irgendwie


gedacht, natürlich, als ein Ding
aus Lumpen usw., fing,


aus Angst, so sagte ich, fing an
zu denken, fing, hob an, begann,


zu denken, denkt euch, was das heißt,
bekam (aus Angst, so sagt' ich) Geist,


und zwar, versteht sich, nicht bloß so
vom Himmel droben irgendwo,


vielmehr infolge einer ganz
exakt entstandnen Hirnsubstanz -


die aus Holz, Eiweiß, Mehl und Schmer,
(durch Angst), mit Überspringung der

 

sonst üblichen Weltalter, an
ihm Boden und Gefäß gewann -


[(mit Überspringung) in und an
ihm Boden und Gefäß gewann.]


Mithilfe dieser Hilfe nun
entschloß sich das Papier zum Tun, -


zum Leben, zum - gleichviel, es fing
zu gehn an - wie ein Schmetterling ...


zu kriechen erst, zu fliegen drauf,
bis übers Unterholz hinauf,


dann über die Chaussee und quer
und kreuz und links und hin und her -


wie eben solch ein Tier zur Welt
(je nach dem Wind) (und sonst) sich stellt.


Doch, Freunde! werdet bleich gleich mir! -:
Ein Vogel, dick und ganz voll Gier,


erblickt's (wir sind im Januar ...) -
und schickt sich an, mit Haut und Haar -


und schickt sich an, mit Haar und Haut -
(wer mag da endigen!) (mir graut) -


(Bedenkt, was alles nötig war!) -
und schickt sich an, mit Haut und Haar - -


Ein Butterbrotpapier im Wald
gewinnt - aus Angst - Naturgestalt ...


Genug!! Der wilde Specht verschluckt
das unersetzliche Produkt ...

 

 

2) Die Mitternachtsmaus:


Ein mitternächtliches Stimmungsbild. Alles ist ruhig, nichts bewegt sich. Das heisst fast nichts: zwölfmal läuft die Maus durchs Haus (bzw. mit zwölf Schritten übers Klavier). Laut Morgenstern repräsentiert sie die sittliche Weltordung. Was würde nächtens alles passiern, wenn sie nicht aufpassen würde?


Wenn's mitternächtigt und nicht Mond
noch Stern das Himmelshaus bewohnt,
läuft zwölfmal durch das Himmelshaus
    die Mitternachtsmaus.


Sie pfeift auf ihrem kleinen Maul, -
im Traume brüllt der Höllengaul ...
Doch ruhig läuft ihr Pensum aus
    die Mitternachtsmaus.


Ihr Herr, der große weiße Geist,
ist nämlich solche Nacht verreist.
Wohl ihm! Es hütet ihm sein Haus
    die Mitternachtsmaus.

 

 

3) Der Sperling und das Känguru:


Wir befinden uns in einer idyllischen Alpenlandschaft mit Sperling und Känguru. Ersterer beginnt zu phantasieren, das Känguru hätte es auf ihn abgesehen. Die Szene wird bedrohlich, Angst und schließlich Panik macht sich breit. Aber ist die Wirklichkeit tatsächlich so, wie der Sperling sie wahrnimmt? Morgensterns Gedicht scheint in unserer heutigen Zeit nichts an Aktualität verloren zu haben.

 

In seinem Zaun das Känguru -
es hockt und guckt dem Sperling zu.


Der Sperling sitzt auf dem Gebäude,
doch ohne sonderliche Freude.


Vielmehr er fühlt, den Kopf geduckt,
wie ihn das Känguru beguckt.


Der Sperling sträubt den Federflaus -
die Sache ist auch gar zu kraus.


Ihm ist, als ob er kaum noch säße ..
Wenn nun das Känguru ihn fräße?!


Doch dieses dreht nach einer Stunde
den Kopf aus irgend einem Grunde,


vielleicht auch ohne tiefern Sinn,
nach einer andern Richtung hin.